Die Verbeugung

Von Pfarrerin Hanna Kandal, Kirchenkreis zwölf

Es ist schon länger her, seit ich in einer Erzählung des Norwegers Jostein Gaarder von einem Jungen gelesen habe, der von einem weit entfernten Stern auf die Erde fällt. Er landet im Garten eines Hauses, in dem der achtjährige Joachim die Geburt seines kleinen Bruders erwartet. Der Junge vom anderen Stern gleicht Joachim äusserlich, hat aber einige seltsame Angewohnheiten. Eine davon ist, dass er sich bei jeder Frage seines Gegenübers tief verbeugt. Eine Frage, sagt er, verdient allen Respekt. Sie bringt uns weiter, löst etwas aus, setzt etwas in Gang – was eine Antwort in der Regel nicht vermag…

An diese Geschichte musste ich wieder denken, als ich mich mit einer Kollegin über die neuen Begrüssungsformen unterhielt, die jetzt in der Situation des sozialen Distanzhaltens zu erleben sind.

Am schönsten finde ich die Verneigung. Ich sah sie bisher im Orient, in Asien auch. Oft noch kombiniert mit dem Zusammenlegen der Hände vor der Brust wie bei einer Bitte. In dieser Geste liegt alle Hochachtung, aller Respekt vor meinem Gegenüber drin.

Mehr Innigkeit und Wärme drücke ich aus, wenn ich die Hand aufs Herz lege und den Kopf leicht neige. Du bist mir lieb und wert, sage ich damit, du liegst mir am Herzen.

Gute Laune krieg ich, wenn Menschen einander fröhlich zuwinken zum Gruss. Hallo zusammen, schön dass Ihr da seid!

Kürzlich zog jemand den Hut vor mir. Eine altmodische Geste, die schon fast in Vergessenheit geraten ist. Ich fühlte mich geehrt und hörte auch das unausgesprochene „Küss die Hand, Gnädigste“ mitschwingen. Schade, dass heutzutage nur noch so selten Hüte gezogen werden!

Auch ein breites Lächeln mit Augenzwinkern entschädigt mich bei weitem für den unterlassenen Handschlag.

Die coronabedingten Abstandsregeln bringen uns eine neue Vielfalt an Begrüssungs- und Abschiedsformen, mit denen wir einander wertschätzen und ehren, respektvoll liebend wahrnehmen. Dazu kommen oft auch Worte, die lang nicht so gehört wurden. Gott zum Grusse sagte mir doch jemand, wie aus einem alten Märchenbuch entstiegen. Und dann all das Internationale: selam, schalom, namaste, bless you, b’hüet di Gott.

Wir werden vielsprachiger dadurch und vielfältiger und verstehen einander umso besser – der Geist von Pfingsten umweht uns.

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