Von Regina Angermann, Kirchenkreis sieben acht

«Big hug», schreibt meine Freundin am Ende ihrer Mitteilung. «Hug me» – «Umarme mich» – vor einiger Zeit liefen in vielen Grossstädten der Welt meist junge Menschen mit umgehängten Plakaten durch die belebten Strassen. Manchmal kam auch ich der Aufforderung nach, einfach, weil es so eine nette Geste war und irgendwie an die Flower-Power-Bewegung erinnerte mit ihren friedvollen Aufforderungen zur Liebe und Freundlichkeit zueinander.
Kleine Bewegung, glückliche Wirkung, könnte man sagen. Es tut einfach gut, einen Menschen zu umarmen, den Kopf an die Schulter zu legen, einige Zeit zu verharren und sich dann vielleicht mit einem kleinen Kuss auf die Wange wieder voneinander zu lösen.
Warum mir das gerade jetzt einfällt, hat zwei Gründe: Der erste, für uns Christen ein sehr bedeutsamer. Der Verrat an Jesus durch Judas ging bekanntlich einher mit einer Umarmung und einem Kuss auf die Wange. Die schöne, menschliche Geste missbraucht und ins Gegenteil verkehrt. Am Ende steht allem zum Trotz der Triumph: «Wahrhaftig, er ist wahrhaftig auferstanden!»
Der zweite Grund ist derzeit für alle Menschen einschneidend: Das Corona-Virus verbietet Nähe zu anderen. Keine Umarmung, kein nahes Beieinander, ausweichen nach rechts oder links auf dem Weg.
Ich gebe jetzt eine Vorhersage heraus, eine Prophezeiung für das «Unwort» des Jahres 2020: Ich glaube, es wird «social distancing» sein, die Beschreibung der Meidung zwischenmenschlicher direkter Kontakte, zwei Meter Abstand mindestens, wenn man verantwortungsvoll ist. «Abstand!» rief mir kürzlich ein Herr schon von weitem entgegen. (Fast, als wäre «Abstand!» das neue «Grüezi!»). Das lächerlich zu machen, liegt mir fern. Ich möchte betonen, dass es ausserordentlich wichtig ist, den Empfehlungen von WHO und BAG Folge zu leisten, ich tue dies selbstverständlich auch.
Doch wenn wir die Pandemie – wie ich von ganzem Herzen hoffe und wünsche – gut überstanden haben und Sie sehen eine Person mit einem Plakat umherlaufen, auf dem steht «Hug me!», dann ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass ich das bin. Wenn Sie mich also sehen, zögern Sie nicht, kommen Sie und wir umarmen uns innig!