Matthias Reuter, Pfarrer
«Gott hat uns nicht gegeben einen Geist der Furcht,
2. Timotheusbrief 1,7
sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit»
Furcht kann uns alle in der Tat überfallen angesichts der aktuellen Nachrichten rund um die neue Virusinfektion COVID-19. Täglich werden die Nachrichten schlimmer. Ein Virus stellt in Frage, was wir bis anhin für selbstverständlich hielten. Auch der Kirchenbetrieb wird stillgelegt, nichts geht mehr bis Ende April – mindestens! Für mich, der als Pfarrer seit 26 Jahren in Zürich arbeitet, eine komplett unverstellbare Situation.
Sollte mich da nicht Furcht befallen? Zunächst ja, Furcht und Ängste sind ganz natürlich, sie lassen sich auch nicht wegscheuchen oder unterdrücken. Heimlich wie ein Dieb schleicht sich die Furcht in unsere Herzen, lässt uns zusammenzucken und lähmt uns. Ja, diese Krise, die wir erleben, ist furchterregend. Solch eine Krise kannten die meisten Menschen bis deutlich über 80 Jahre gar nicht mehr. Sie kommt gefühlt aus heiterem Himmel – denken Sie kurz drei bis vier Wochen zurück, als wir hier noch fast heile Welt hatten.
«Gott hat uns nicht gegeben einen Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit»
Doch es ist auch viel Kraft spür- und erlebbar. Spontane zivile Nachbarschaftshilfen blühen auf, das Kirchenprojekt «Solidarität für Zürich» wird quasi über Nacht aus dem Boden gestampft, bei uns Mitarbeitenden und Pfarrern, Pfarrerinnen glühen die Telefondrähte, quellen die Mailboxen über … Was können wir machen? Wie können wir helfen? Diese Idee da, jene Idee dort, kreatives Chaos … Es ist Kraft da. Eine Kraft, die sagt: Wir als Kirche sind auch weiterhin für Sie da! Wir alle wollen wo immer möglich, wie immer möglich für die Menschen unserer Stadt und unserer Kirchgemeinde da sein.
Statt Gottesdiensten in den Kirchen werden Gottesdienste über das Internet übertragen, Seelsorge wird auf Telefon, WhatsApp, Chat verlagert, da Besuche nur noch in Ausnahmen erlaubt sind, pragmatische Alternativen für Suppenküchen und Mittagstische werden gesucht, Material für kirchliches Homeschooling aufbereitet, Kerzen ins Fenster gestellt (www.zhref.ch/abendgebet) und, und, und. Lassen Sie sich überraschen!
Auch wenn zurzeit alle Veranstaltungen ausfallen, ist die Kirche weiterhin für Sie da. Vielleicht müssen wir sogar gemeinsam «Kirche sein» und «Kirche gestalten» neu entdecken, Sie und ich, Sie und wir. Trotz(t) Corona! Wir trotzen gemeinsam dem Virus! Es ist eine grosse Herausforderung, wenn wir als Gesellschaft zusammen aus der Lähmung durch die Furcht mit neuer Kraft der Zukunft entgegen gehen wollen. Das geht nur mit Liebe. Liebe für die Menschen in unserer Stadt, und natürlich darüber hinaus, aber auch Liebe zu dieser auf alten Fundamenten ruhenden Kirche. Liebe gegeben von Gott, gegeben gerade in dieser verrückten Zeit und in der Not, die sich weltweit brutal ankündigt.
Liebe ist ein häufiges Wort in der Bibel, aber Besonnenheit? Es kommt nur acht Mal vor, und doch tut uns der Geist der Besonnenheit jetzt besonders gut. Besonnenheit hilft gegen vorschnelles und unüberlegtes Urteilen und Handeln. Annehmen, was jetzt geboten und verboten ist. Nicht jeder Missstand muss sofort behoben werden. Geduld! Zum Geist der Besonnenheit, den Gott uns gibt, gehört für mich auch Geduld: Geduld bis das Ende der Pandemie erreicht ist, Geduld mit uns selbst, Geduld mit anderen.
«Gott hat uns nicht gegeben einen Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit»
Matthias Reuter ist seit 1. März 2020 Vorsitzender des Konvents der Gemeindepfarrer und Gemeindepfarrerinnen der Kirchgemeinde Zürich.