Zuneigung im Mai

Von Regina Angermann, Kirchenkreis sieben acht

«Willst du dein Herz mir schenken, so fang es heimlich an, dass unser beider Denken niemand erraten kann.» summt sie leise vor sich hin, während sie – endlich wieder – einmal spazieren geht. Lange hat sie sich nicht getraut, hinaus zu gehen, zu gross war die Sorge sich anzustecken. Doch nun ist Mai, der wunderbare Wonnemonat Mai, der ihr der liebste von allen Monaten ist. Das Grün der Bäume, die Blumen, Sonne, die zwitschernden Vögel – sie kann nicht mehr widerstehen und geht im Wald spazieren, langsam, auf Abstand bedacht.

Vor sich sieht sie zwei Menschen, sehr nahe beieinander. Sie neigen sich einander zu.        «Zuneigung», hätte sie früher gedacht, «so sieht Zuneigung aus, die beiden mögen sich ganz offensichtlich und zeigen es auch.» Nicht wie in diesem Lied, das ihr heute den ganzen Tag nicht aus dem Sinn geht, dem Lied von Johann Sebastian Bach, das er für seine Anna Magdalena geschrieben. Dort geht es um die Heimlichkeit der jungen Liebe, keiner soll die Zuneigung zwischen den Liebenden erahnen. «Zuneigung», hätte sie also gedacht und sich gefreut für die beiden.

Heute jedoch, nach den Wochen und Monaten der Mahnungen, sich nicht zu nahe zu kommen, die zwei Meter Abstandsregel zu beachten, jetzt schiesst ihr als erstes durch den Kopf: «Wie unverantwortlich! Die jungen Menschen! Egoismus pur, wenn sie nun sich und andere dadurch gefährden?!» Sie sagt nichts, geht weiter, vermisst plötzlich sehr ihren Mann, dem sie innig zugeneigt war.

Später ist sie trotzdem froh, die beiden jungen Menschen gesehen zu haben. Sie denkt nicht mehr «Egoismus», sie denkt, «Herr, ich danke dir für die Unbekümmertheit der Jugend, für dieses hoffnungsvolle Zeichen, dass wir uns immer wieder verlieben, immer wieder den Mai geniessen und immer wieder den Mut haben, das Negative hinter uns zu lassen und aus allem Erleben mit nur ein wenig Optimismus Gutes zu behalten.»

«Der Herr, unser Gott, neige unser Herz zu ihm, dass wir wandeln in allen seinen Wegen.»                                  

Könige 8, 58

Willst du dein Herz mir schenken?
von Johann Sebastian Bach, geschrieben für Anna Magdalena Bach.
Interpreten:
German Bosshard am Klavier
R. Bosshard Gesang

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