Von Pfarrerin Stefanie Porš, Kirchenkreis sieben acht

So anders ist das Leben plötzlich geworden. Sie sorgt sich um ihren alten, kranken Vater, stellt ihm täglich das Essen vor die Türe. Am Abend ruft sie ihn an und will so sicher gehen, dass er daheim zurechtkommt.
Das Telefonieren tut beiden gut. Nähe ist auch so erfahrbar, obschon sich beide nach dem Gesicht des anderen sehnen. Die Tochter möchte möglichst oft in der Nähe ihres Vaters sein. Wer weiss, wie lange er noch leben wird? Und der Vater ist dankbar für seine Tochter, die sich neben Arbeit und Familie um ihn kümmert.
Seit der letzten Umarmung sind wenige Tage vergangen. Dem betagten Vater kommt diese Zeit schon sehr lange vor. Gott sei Dank gibt es das Radio, den Fernseher und eben auch das Telefon. Alles Erfindungen des modernen Menschen, die nicht schon immer da waren.
So kann er auch jetzt, wo er den ganzen Tag zu Hause bleiben muss, mit anderen in Kontakt kommen. Anteilnehmen an den Ereignissen in der kleinen und grossen Welt. Er weiss: Ich bin nicht allein. Vielen Menschen rund um den Erdball geht es jetzt gleich wie ihm. Manche sind ganz isoliert, abgeschnitten von ihrer Umwelt oder gar angesteckt auf der Intensivstation. Andere geraten durch diese ausserordentliche Lage in eine noch grössere persönliche Krise. Und nochmals andere sind von den wirtschaftlichen Folgen betroffen, haben weniger Lohn oder verlieren gar ihr eigenes Unternehmen.
«Am Ende der Suche und der Frage nach Gott steht keine Antwort, sondern eine Umarmung.»
(Dorothee Sölle)
Der Vater sehnt sich nach einer Umarmung. Nach einem Menschen aus Fleisch und Blut, der ihm seine Zuwendung ganz körperlich zeigt. Nach einer Berührung, die auch sein altgewordener Körper dringend braucht. «Am Ende der Suche und der Frage nach Gott steht keine Antwort, sondern eine Umarmung», hat seine Tochter ihm auf einer Karte geschrieben und dem Abendessen beigelegt.
Diesen Satz hat sie sich von der Theologin und Dichterin Dorothee Sölle geliehen. Wie gut ihm diese Worte nun tun. Sie machen ihn stark zum Leben. In Gedanken umarmen will er seine Kinder, die übriggebliebenen Freunde, die Verkäuferinnen, die Postboten, die Ärzte und Pflegefachfrauen, die Menschen draussen in der Welt. Alle, die sich in dieser Zeit so sehr bemühen, dass die Krise gemeinsam überwunden wird. In dieser Umarmung spürt er: Ich bin verbunden mit allen und mit Gott, der Leben schenkt und Leben wieder zu sich nimmt. Der mir in dieser so anderen Zeit seinen Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit schenkt.