von Renate von Ballmoos, Pfarrerin Kirchenkreis eins, Predigerkirche

Noch immer keine Veranstaltungshinweise auf diesen Seiten. Noch immer Gottesdienste gestreamt, am Fernsehen oder im Radio, Gespräche meistens per Telefon und unzählige Gruppenaktivitäten, kreativ zwar, aber eben doch nicht so erlebbar, wie es uns lieb und vertraut ist. So zeigt sich unsere Situation hier in Zürich wie fast überall in Europa, und viele unter uns werden ungeduldig. Ich auch. Wie gern würde ich wieder Gottesdienste feiern und gemeinsam mit andern am frühen Morgen meditieren.
Wie gern würden wir wieder Freundinnen und Freunde treffen und endlich wieder mal mit den Eltern unterwegs sein. Wie gern wieder mal ein Konzert besuchen, fein Essen gehen, in einer Bar sitzen, Kolleginnen und Kollegen treffen spät nachts im Ausgang, die vertraute Bridge- oder Jassrunde wieder aufnehmen, im Chor singen oder endlich wieder das Fussballtraining aufnehmen.
Unsere Bedürfnisse sind zwar unterschiedlich, aber sie sind da. «Wie gern…..» Und nun hören wir immer und überall, wir sollen uns gedulden, zuhause bleiben und zufrieden sein, wir hätten es ja gut, und andere würde es viel härter treffen. Das stimmt alles. Diese Aussage ist 100% richtig.
Aber ich bin dennoch überzeugt, dass unsere Ungeduld wichtig ist, und dass wir sie beibehalten sollen. Nicht damit wir quengelig werden, sondern damit wir vermeiden, dem Virus eine positive Bedeutung zuzuschreiben, gar dieses Virus zu einem Fingerzeig Gottes zu machen.
Denn ich bin überzeugt: Es ist nicht «für etwas gut», dass dieses Virus die ganze Welt lahmlegt, sondern es kostet unzählige Menschenleben und wird zusätzlich viele wirtschaftliche Existenzmöglichkeiten vernichten. Die Armut und die Not werden nachher grösser sein als vorher. Das ist zu befürchten.
Ich erinnere mich an die Hiobsgeschichte, die uns in der Bibel erzählt wird. Es geht um die Frage: Warum trifft uns Menschen ein Schicksalsschlag? Warum mich und nicht andere? Was steht hinter Glück und Unglück?
Während die mythischen Kapitel der Geschichte die Verantwortung dem Widersacher Gottes, dem Satan zu schreiben, der mit Gott eine Wette eingeht, ob Hiob denn auch wirklich an seinem Vertrauen festhielte, wenn er alles verlieren würde, interpretieren spätere Textteile das Unglück Hiobs als Strafe Gottes, als Prüfung Gottes oder als Erziehung des Menschen durch Gott. Doch Hiob wehrt sich in den biblischen Texten gegen all diese Deutungen, er rebelliert, arrangiert sich nicht mit seinem Unglück, ist empört, wütend, zornig…. und findet erst nach einer ganz besonderen Vision seine Ruhe wieder. In dieser Vision zeigt Gott dem Hiob die Schöpfung in ihrer ganzen Schönheit und Grossartigkeit, mit ihrer für uns Menschen letztlich nicht fassbaren und schon gar nicht manipulierbaren Kraft. Und so gelingt es Hiob, zu einer Einsicht zu kommen.
In meiner Sprache und unserer Situation würde ich diese Einsicht so ausdrücken: «Ja, es ist ein wunderbarer Frühling, eine lebendige Kraft, die selten so blühend und schön zu erleben war wie in diesem Jahr und die ich genauso wenig verstehen und beeinflussen kann wie das Virus, das auch Teil dieser Schöpfung ist. Warum, weshalb, wozu? Das sind unzulängliche Fragen, darauf wird es nie allgemeingültige Antworten geben. Wer bin ich denn, den Sinn solchen Geschehens deuten zu wollen?»
Und so wünsche ich uns, dass wir uns von Hiob ermahnen lassen und uns nicht mit vorschnellen, scheinbar tiefgründigen Antworten zum Sinn dieser Viruspandemie befassen und zufrieden geben, sondern daran festhalten, dass Zerstörung, Krankheit, Einsamkeit, Armut und Not nicht das Normale sind, sondern das Störende und Verstörende bleiben – immer bleiben müssen.
Und: Irgendwann wird sich unsere Situation wieder verändern. Wer weiss, wann und wie?