Von Pilgerpfarrer Michael Schaar
Eine Tagesstruktur ist wichtig in diesen Tagen – im Home-Office oder aber auch im gebotenen Daheimbleiben. Auf der anderen Seite ist es auch wichtig, sich zu bewegen, zumindest als Einzelne*r mit dem Gebot, den vorgeschriebenen Abstand zu halten, eine Ansammlung von Menschen mit mehr als fünf Personen in der Öffentlichkeit zu meiden. In der Stadt mag das manchmal schwerer fallen als auf dem Land, aber es ist dennoch das Gebot der Stunde und ja, es funktioniert doch!
Momentan gibt mir selbst unser Hund da einen Takt vor.
Nach erledigten Arbeiten am Notebook, beendeten Videokonferenzen oder Telefonaten kann das ein ganz bewusster Unterbruch werden, der mich wieder zentriert. Denn nicht nur «Hündeler*innen» wissen: Auch wenn es eisig kalt ist, es «cats and dogs» regnet, wie es in England heisst, traue ich mich auf die Strasse und gehe spazieren.
Dass auch ich dies tue, liegt an unserem Hund, einem Golden Retriever mit dem dänischen Namen «Ørding», der aus dem Zürcher Weinland, genauer aus Marthalen, stammt und jetzt schon 10 ½ Jahre alt ist. Für mich ist er eben mehr als ein Hund: Ørding ist auch stets mein geistlicher Begleiter. Vieles, das ich in Kursen auch schon gelernt habe, das kann ich auch an ihm sehen.
Ørding nimmt mich an, liebt mich schwanzwedelnd, wie ich jetzt gerade bin. Gut drauf, strotzend vor Ideen, aber auch mal schlecht gelaunt, nervös, verunsichert oder traurig. Bedingungslos tut dieser Hund das.
«Erstaunlich, oder? Sie lieben einen, egal, was man angestellt hat», sagt ein Mafioso zu einem Totschläger in dem Film «Underdogs» aus dem Jahr 2007, in dem Strafgefangene als Resozialisationsmassnahme Blindenhunde ausbilden sollen. Recht hat der Mafiosi!
Denn in dieser grossen, liebenden Hunde-Zuneigung unseres eigenen Hundes entdecke ich einen Abglanz des Schöpfers im hechelnden Geschöpf voller Matsch des Sihl-Ufers. Kommt Gott vielleicht auch auf den Hund, um mir seine Liebe zu zeigen? Diese Frage stelle ich mir oft und dies vermehrt, seitdem wir auch zu den «Hündelern» gehören.
Dieser helle Hund lebt nur «augenblicklich», im Jetzt. Nur jetzt will er etwas, nicht nachher, nicht morgen. Jetzt will er fressen. Jetzt will er spielen. Jetzt will er toben. Jetzt will er schlafen. Jetzt will er in der Sonne auf dem Balkon liegen.
Ein grosser Mystiker des 20. Jahrhunderts, der Einsiedler Thomas Merton, hat Gottsuchenden seiner, unserer Zeit den Hinweis gegeben:
«Man findet Gott nicht, indem man die Gegenwart gegen die Zukunft oder die Vergangenheit abwägt, sondern nur indem man sich in das Herz der Gegenwart sinken lässt, so wie sie ist.»[1]
In dem Hund, der momentan auch in der Frühlingssonne döst, in wilder Tobsucht dem Ball bis in das Wasser nachjagt, grunzend und schnaufend auf dem Rücken liegt, wenn ich seinen Bauch kraule, mit dem Trockentuch kommt, um in der Wohnung herum geführt zu werden, schlägt ganz einfach das starke «Herz der Gegenwart». Dieses «Herz der Gegenwart» suchen wir Pilger*innen und Meditierende mit mehr oder weniger schwierigen Übungen und Techniken in uns und finden es – wenn überhaupt – nur kurz. Gnädig geliebt zu sein, augenblicklich-gegenwärtig zu leben und derweil auf paradiesische Zustände zu hoffen, all das hat mich mein Ørding gelehrt.
Mir ist das ein ganz besonderer Trost und ein echter «Aufsteller» zugleich, daran bei jedem Hundespaziergang «an Tagen wie diesen» beständig erinnert zu werden.
«Wie Gott dich findet, so nimmt und empfängt er dich und zwar als das, was du jetzt bist.»
Meister Eckhart (ca. 1260 bis 1328 n.Chr.), Theologe und Mystiker
Buchtipps zum Weiterlesen:
Mit diesen Literaturempfehlungen zum Weiterlesen «an Tagen wie diesen», wo wir eben nicht alle mehr «ausschwärmen» können, weil wir uns an die Regeln des Bundesrates halten, können wir uns auf eine Zeit freuen, in der das wieder möglich sein wird. Hintergrundinformationen über das «Gehen» und seine heilsame Wirkung bieten zwei sehr spannende neue Bücher, die gerade neu erschienen sind.
Shane O’ Mara: Das Glück des Gehens. Was die Wissenschaft darüber weiss und warum es uns so guttut, Hamburg 2020.
Jonathan Hoban: Gehen & Heilen. Emotional gesund durch Geh-Therapie in der Natur, München 2020.
[1] Thomas Merton, in: Warum glauben – und wie, Bonifatius: Paderborn 2007 (Zitiert aus: Christ in der Gegenwart 11/2009, S. 121)
Das Pilgerzentrum St. Jakob hat seinen Ort in der in der Evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Zürich und zwar im Offenen St. Jakob, der Kirche am Stauffacher. Die Arbeit im Pilgerzentrum St. Jakob ist Teil des Pfarramtes von Pfr. Michael Schaar.
Ein Gedanke zu „Achtsamkeit, Entschleunigung und Selbstfürsorge beim Hundespaziergang – gerade an «Tagen wie diesen»“